Fotojournalist über das Geschehen in der Bierstraße: „Die Wirte hatten ihre Läden im Griff“

22 Jul, 2020
Ein Artikel von: Kenny Deppe

Die Bierstraße musste wieder schließen. Foto: Mallorca Revue

Chris Emil Janßen ist Fotojournalist und war seit dem Ende der Einreisebeschränkungen schon mehrmals auf Mallorca. Uns erzählt er, was er über die Playa denkt und was die Aufgabe eines Fotografen ist.

Als am Mittwoch die Schließung der Bier- und Schinkenstraße bekanntgegeben wurde, hatten die Fans der Feiermeilen den Schuldigen schnell ausgemacht: die Presse! Es gingen Videos umher, in denen ein Kamerateam Urlauber zum Feiern und Gröhlen animierte, um anschließend aktuelle Partybilder von Mallorca zeigen zu können.

Mit der Aktion wurde sicherlich eine Grenze überschritten. Aber sind eigentlich alle von „der Presse“ so? Wer ist das eigentlich, diese Presse?
Chris Emil Janßen, ein Fotojournalist der zur Öffnung der Bierstraße auf Mallorca war, hat uns ein Interview zu dem Thema angeboten. Er teilt seine ganz persönliche Sicht auf den Ballermann mit uns und erklärt, wie die Arbeit eines Fotojournalisten aussieht.

Mallorca Revue: „Was macht für dich den Ballermann aus, an dem du ja auch oft genug bist? Feierst du da auch mal selber?“

Chris: Persönlich fühle ich mich der Partyszene auf Mallorca emotional verbunden und stehe dem sogenannten „Ballermann“ absolut wohlgesonnen gegenüber.

In den zurückliegenden Jahren kam ich regelmäßig auf die Insel und war immer wieder positiv angetan, mit welcher großen Lebensfreude und auch Friedlichkeit an der Playa gefeiert wird. Das oftmals einseitig negativ gezeichnete Bild von massenhaft herumliegenden Schnapsleichen ist Unsinn und falsch.

Vielmehr ist es eine große Ausgelassenheit und Unbeschwertheit, die den so genannten „Ballermann“ auszeichnet.

Dies berichte ich immer wieder auch in meinem privaten Umfeld und versuche so, den bestehenden Vorurteilen entgegen zu wirken.

Was beim Wacken Open Air anerkennend als Kult und Ausdruck von Gemeinschaft gewertet wird, nämlich dass sich zehntausende Menschen treffen und ein paar Tage mit viel Alkohol und lauter Musik Party machen, gilt an der Playa als „asozial“. Da stimmt etwas in der medialen und öffentlichen Wahrnehmung nicht.

Ich bin mit einigen der Künstler aus dem Megapark und dem Bierkönig persönlich bekannt, habe beispielsweise die Live-Tournee von Mickie Krause und seiner Band im vergangenen Winter photographisch begleitet und dokumentiert, was für mich ein absolutes Herzensprojekt war.

Mallorca Revue: „Waren deine Bilder Zufall, oder hast du auf den ‚perfekten‘ Moment gewartet?“

Chris: Mein Beruf ist der Fotojournalismus, dabei agiere ich frei am Markt und ohne redaktionellen Auftrag.

Der Vertrieb meiner Aufnahmen läuft über renommierte Fotoagenturen.

Veröffentlichungen erfolgen natürlich zu einem großen Teil in Deutschland, darüber hinaus aber auch international und weltweit. In 2019 kam ich so auf rund 3.800 Veröffentlichungen in Print, TV-Einblendungen und natürlich online.

Bestandteil dieser beruflichen Tätigkeit ist, dass ich ein Gespür für solche Themen habe, die medial relevant sind oder werden könnten. Auch weil mir Mallorca am Herzen liegt, bin ich nach dem ungleich härteren Corona-Lockdown in Spanien bereits am 15. Juni erstmalig in diesem Jahr für mehrere Tage auf die Insel gereist und habe die Situation an der Playa dokumentiert.

Dabei war ich von den kaum beschreibbaren wirtschaftlichen Effekten schockiert, wobei sich das ganze Ausmaß sicherlich erst ab Herbst oder Winter zeigen wird.

Die gesamte Bevölkerung leidet deutlich spürbar und in der Breite ohne Zweifel härter als in Deutschland.

Vom Taxibetrieb, den Autovermietungen über die Gastronomie bis zu riesigen Hotelkomplexen mit tausenden Betten, die vollständig leer stehen. Der wirtschaftliche Effekt der Corona-Krise ist auf Mallorca offenkundig so ungleich stärker als in Deutschland, dass ich noch immer erschrocken und betroffen bin.

Entsprechende Bilder habe ich am Markt platziert, und eine Reihe der Aufnahmen aus Juni wurden für die Berichterstattung in den Medien verwendet.

Nachdem der Tourismus langsam wieder anzulaufen schien, war es für mich als Berufsfotograf folgerichtig, Anfang / Mitte Juli nochmals auf die Insel zu kommen und die neue, sich weiterentwickelte Situation zu dokumentieren.

Die Idee, ich hätte gezielt nach kritischen Motiven Ausschau gehalten, ist schlichtweg falsch.

Ich dokumentiere fotografisch das, was ist.

Es gilt der Satz: Kein Bild ohne Motiv.

Die Bilder aus dem „Las Palmeras“ gingen quer durch die deutschen Medien. Nun ist hier wieder geschlossen. Foto: Mallorca Revue

Mallorca Revue: „Welche Verantwortung hat der Fotograf, wenn er eine Szene fotografiert? Wie weit darf man mit der Perspektive tricksen, oder den richtigen Moment abwarten, um zum Beispiel das eine Foto zu machen, auf dem es richtig voll aussieht?“

Chris: Der Fotojournalist hat zunächst die Aufgabe, eine Information innerhalb eines Bildes möglichst komprimiert darzustellen und alles, was für die Aussage irrelevant ist, wegzulassen.

Die Frage nach einem „Tricksen“ ist für mich falsch gestellt. Es geht bei der Auswahl einer Fotoperspektive nicht um Tricks.

Wenn ich die Bundeskanzlerin auf einer Pressekonferenz mit einer langen Brennweite sehr nahe fotografiere, wie sie müde mit geschlossenen Augen vor dem Mikrofon sitzt, kann man diese Aufnahme in unterschiedlichsten Kontexten einsetzen. Es ist aber dadurch kein „getrickstes“ Foto.

Vielmehr beinhaltet eine solche Aufnahme eine komprimierte Information, die natürlich anders wirkt als die identische Aufnahme vom gesamten Rednerpult mit Kanzlerin oder dem ganzen Sitzungssaal mit allen Anwesenden.

Diese Komprimierung von Information und Aussage ist Kernaufgabe eines Fotojournalisten, aber alles andere als Manipulation oder Trickserei.

Eines meiner Strandbilder von der Playa aus diesem Sommer wird diskutiert. Dazu habe ich bereits mehrere Anfragen per E-Mail erhalten, wo Menschen sich vergewissern wollen, ob das Foto tatsächlich aus 2020 ist.

Die bisherigen E-Mails dazu waren übrigens alle sehr freundlich, ausdrücklich nicht von Verschwörungstheoretikern, sondern von interessierten Menschen, die sich ebenfalls Gedanken und Sorgen um den Ruf von Mallorca machen.

Die fragliche Aufnahme ist am Sonntag, 12.07.2020, früher Nachmittag, circa 13:30 / 14:00 Uhr entstanden.

Ich kam gerade von einem Fotoshooting aus dem geschlossenen Megapark und bin an der Playa entlang in Richtung meines Hotels gegangen.

Somit war es also eine mehr oder weniger zufällige Szene, die mir auffiel, ich habe nicht gezielt danach gesucht.

Das Fotoset besteht aus unterschiedlichen Aufnahmen, die das Strandleben in dem Moment aus verschiedenen Perspektiven zeigt.

In der so genannten „Caption“ (Anmerkung: Das ist ein Kommentartext eines Fotografen zu den Aufnahmen als Information für die spätere redaktionelle Verwendung) habe ich geschrieben:

„Der Strand an der Playa de Palma ist deutlich gefüllter als in den Tagen zuvor, offenbar reisen aktuell wieder mehr deutsche Urlauber nach Mallorca“.

Es handelt sich somit um eine neutrale Beschreibung ohne jede Wertung.

Die Caption lautete eben nicht: „Corona-Gefahr, die Gäste stapeln sich am Strand“.

In den unterschiedlichen Aufnahmen sieht man teilweise einzelne Paare mit Sonnenschirm fotografisch isoliert am Strand sitzend, den Strand in der Totalen, aber ebenso den erkennbar stärker gefüllten Strand in einer seitlichen Perspektive.

Auch dies ist saubere journalistische Arbeit, die nichts mit Manipulation zu tun hat.

Ich habe ein Spektrum an Strandszenen fotografiert und mit einer sachlichen Caption versehen. Mit welchem Text und in welchem Kontext die Aufnahmen später redaktionell verwertet werden, liegt nicht in meinem Einflussbereich. Das gilt grundsätzlich und unabhängig von Mallorca.

Auch das „Deutsche Eck“ musste schließen, weil es in der Bierstraße ist. Foto: Mallorca Revue

Mallorca Revue: „Welchen Einfluss hat der Fotograf auf das, was zu seinen Bildern geschrieben wird? Ist es für dich als Fotograf schlimm, deine Bilder im vielleicht falschen Kontext wiederzufinden?“

Chris: Darauf, in welchem Kontext und in welchem Medium eines meiner Fotos erscheint, habe ich gar keinen Einfluss.

Die Zeitungen, Magazine, Fernsehsender und andere Kunden suchen in den Datenbanken der Fotoagenturen nach Aufnahmen, die deren – nicht meine – Texte entsprechend optisch ergänzen und die Aussage der Artikel möglichst in einem Motiv zusammenfassen.

Meine Bilder erscheinen in allen bekannten Medien.

Dies sind unter anderem BILD, SPIEGEL, ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Bunte, Gala, alle TV-Sender von ARD über RTL und Sat 1 bis ZDF, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Der gesamte Medienmarkt hat Zugriff auf meine Bilder und nutzt diese ohne vorherige Abstimmung mit mir.

Es gibt also keinerlei Austausch zwischen mir und den Redaktionen.

Ich habe keinen Einfluss auf die Nutzung meiner Fotos.

Zumeist erfahre ich erst über die Honorarabrechnungen, wo meine Bilder erschienen sind.

Immer wieder kommt es vor, dass Fotos von mir auch in nationalkonservativen Publikationen genutzt und aus dem Kontext gerissen werden. Aber selbst das kann ich nicht unterbinden, obwohl ich mich persönlich komplett von deren Inhalten distanziere und damit nichts zu tun haben möchte, sie sogar ausdrücklich als gefährlich erachte. Wer bei den Agenturen Fotos kaufen kann, kann meine Bilder dort lizenzieren und in nahezu jedem Kontext verwenden.

Das „Et Dömsche“ äusserte sich bereits vor der Schließung kritisch zum politischen und medialen Druck. Foto: Mallorca Revue

Mallorca Revue: „Wie hast du dieses Wochenende persönlich erlebt? Wurden die Corona-Regeln am Samstag besser eingehalten als am Freitag, über den alle berichtet haben?“

Chris: Am Donnerstag, 09. Juli, war ich zunächst gegen 23:00 Uhr in der menschenleeren Schinkenstraße und habe die dortige gespenstische Szenerie vor dem Bierkönig und dem Bamboleo dokumentiert. Also exakt das Gegenteil dessen, was später so emotional diskutiert wurde und letztendlich zum „Ballermann-Lockdown“ führte.

Anschließend ging ich die Carrer del Llaüt in Richtung meines Hotels entlang und kam – somit zufällig – an der Bierstraße vorbei. Dort fiel mir auf, dass sich ein paar wenige Dutzend Touristen laut singend zu Sierra Madre herzlich in den Armen lagen und dabei Wunderkerzen schwangen.

Ansonsten war die Straße weitgehend leer. Woher die Wunderkerzen kamen, weiß ich nicht, aber es liegt natürlich auf der Hand, dass sie von einem der Wirte verteilt wurden.

Es gab keinerlei Alkoholexzesse, aber es war offensichtlich, dass diese Situation in Corona-Zeiten mindestens diskussionswürdig ist.

In normalen Zeiten hätte man gedacht: Schön, wie friedlich und fröhlich die zusammen ihren Urlaub genießen.

Ich habe mir die Lage ein wenig von gegenüber der Straße angeschaut und hatte überlegt, ob ich Fotos oder Videos mache, was durchaus legitime Aufgabe für mich als Fotojournalist gewesen wäre. Aber ich habe mich dagegen entschieden und bin letztendlich ohne eine einzige Aufnahme ins Hotel gegangen.

Freitagabend war ich gar nicht vor Ort, hörte nur irgendwann nach Mitternacht jemanden Sierra Madre singend an meinem Hotelfenster vorbeigehen.

An diesem Freitag wurden offenbar ein oder mehrere Handy-Videos aufgezeichnet, die das gesamte Thema öffentlich machten, den Stein ins Rollen brachten, so dass der mediale Fokus auf die Geschichte fiel.

Davon hatte ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nichts mitbekommen.

Ich selbst habe also weder am Donnerstag noch am Freitag Bilder produziert.

Am Samstag saß ich alleine zum Abendessen im El Chiringuito Beach House, dem Restaurant vorne an der Playa, Ecke Bierstraße. Von meinem Tisch aus habe ich während des Essens einige wenige Aufnahmen gemacht. Für einen Berufsfotografen ist es normal, dass er seine Kamera möglichst immer dabei hat.

Natürlich habe ich gesehen, dass von den Passanten die Abstände nicht durchgängig eingehalten wurden und dass es sehr eng in der Bierstraße war.

Allerdings habe ich meine Fotoposition nicht gewechselt, sondern bin dort am Tisch sitzen geblieben und habe in Ruhe gegessen.

Wäre es mir um das „krasseste“ Foto gegangen, hätte ich aufstehen und aus anderen Perspektiven fotografieren müssen, z.B. in gerade Linie hinein in die Straße.

Nach dem Bezahlen bin ich durch die Bierstraße an den Kneipen vorbei gegangen und habe mir die Situation von der anderen Seite nochmal angeschaut.

Auch dort habe ich einige Fotos gemacht.

Wenn man sich die Bilder genau anschaut, erkennt man recht gut, was sich an dem Abend tatsächlich in der Bierstraße angespielt hat.

Die Kneipen hatten ihre Außenplätze klar mit Flatterband und Kordeln abgegrenzt, so dass man nicht ohne weiteres rein konnte, sondern die festgelegten Eingänge nutzen musste.

An diesen Eingängen stand Desinfektionsmittel bereit, die Gäste wurden an den Tischen platziert, so dass ein unkontrolliertes Umherlaufen in den Lokalen vermieden wurde.

Innerhalb der Lokale waren die Tische so aufgebaut, dass die Abstände augenscheinlich eingehalten wurden.

Quasi alle Gäste saßen auf ihren Stühlen an den zugehörigen Tischen. Innerhalb der Gastroflächen herrschte aus meiner Sicht keine problematische Enge. Das Sicherheitspersonal trug durchweg Maske, ebenso der Service in den Lokalen.

Wie die Wirte im Las Palmeras und im Deutschen Ecke ihre Läden geordnet hatten, ist gut auf einem meiner Fotos zu sehen. Die Aufnahme wurde beispielsweise online vom SPIEGEL in einem Artikel mit der Überschrift “Wir sind so verärgert über unsere deutschen Landsleute” verwendet. In den anderen Läden sah es im Prinzip genauso aus..

Ein Foto von Chris im SPIEGEL

Chris: Dass die Wirte ihre Hygienekonzepte hatten und an deren Umsetzung bemüht werden, war deutlich sichtbar.

Für mich war der kritische Punkt, dass im öffentlichen Raum zwischen den abgegrenzten Gastroflächen schlichtweg zu viele Touristen flanierten.

Kein Wunder, wenn ansonsten an der Playa quasi das gesamte Nachtleben ruht. Die Abstände wurden meiner Beobachtung nach also im Wesentlichen auf der Straße nicht eingehalten, aber die Wirte hatten ihre Läden im Griff, soweit ich es sehen und beurteilen konnte.

Nach meinem Verständnis ist es Aufgabe der Behörden und der Polizei, für Ordnung im öffentlichen Raum zu sorgen. Polizei habe ich an keinem der Tage gesehen, obwohl an der Playa auch in den vergangenen Jahren ansonsten auffallend viel Polizei unterwegs war und ist.

Auf Fotos direkt in der Bierstraße – also im Trubel aufgenommen – habe ich verzichtet. Es gibt keine entsprechenden Bilder von mir, obwohl ich solche Aufnahmen hätte erstellen und verkaufen können.

Dabei hätte ich natürlich leicht krass wirkende Videos erstellen können.

Aber das war nicht mein Anliegen.

Am Sonntagabend war ich erneut in der Bierstraße. Es war nochmals sichtbar, dass die Wirte deutlich und abermals verstärkt bemüht waren, alle Regeln einzuhalten. Die Lokale waren weiterhin per Flatterband und Kordel abgegrenzt, die Tische auf Abstand gestellt und die Gäste saßen auf ihren Stühlen ohne unnötig rumzulaufen.

Insgesamt war es am Sonntag deutlich leerer als am Vortag. Polizei, die im öffentlichen Raum hätte regeln können, war wieder nicht zu sehen.

Die Schinkenstraße muss ebenfalls geschlossen bleiben. Foto: Mallorca Revue