Wer Heti nicht kennt…

1 Mai, 2020
Ein Artikel von: Dagmar Grabsch

Sie kam, sah und verliebte sich in die Insel. Heti Hartl war 2006 zum ersten Mal auf der Insel, Urlaub machen mit ihrem damaligen Freund. So jedenfalls der Plan. Heti allerdings verliebte sich in die Insel und plante zu kommen, um für immer zu bleiben. Der Plan ging auf, im Oktober 2009 kam Heti auf Mallorca an – und dieses Mal nicht als Urlauberin.

Das Leben in Deutschland war „vorherbestimmt“ – wir wollten von Heti wissen, wie es aussah, das Leben vor Mallorca.

„Ich arbeitete zu der Zeit in einer Zeitarbeitsfirma als Personaldisponentin. Es war aber wieder einmal absehbar, dass ich nach einem Jahr arbeitslos sein würde. Die Chefs bekamen immer nach einem Jahr mein halbes Gehalt vom Arbeitsamt erstattet, weil ich über 50 Jahre war.“

Teufelskreis Deutschland, was also tun?

„Nach dem Urlaub 2007 recherchierte ich im Internet nach Stellen für allgemeine Büroarbeiten auf Mallorca. Ich war erschlagen von der Vielfalt der Angebote. So war die nächste Volkshochschule mir. Mein Gedanke: Fang an, Spanisch zu lernen, wer weiß, was noch so kommt. 2008 gab ich beim Inselradio ein Stellengesuch auf: 54-Jährige sucht neue Herausforderung, suche Bürostelle auf Mallorca. Ich hatte innerhalb von zwei Tagen vier Stellenangebote und war einen Monat später, auf Kosten einer Firma aus Santanyi, wieder auf der Insel. Leider klappte es nicht mit dieser Stelle.“

Aufgeben – das war nie Hetis Ding, also weitermachen in Deutschland, weitersuchen auf Mallorca.

„Als ich im Januar 2009 wieder aus einer Zeitarbeitsfirma raus war, stand mein Entschluss fest, jetzt wird Mallorca aktuell. Nach 400 Absagen in Deutschland auf einen einfachen Bürojob hatte ich keine Lust mehr. In Deutschland war ich einfach zu alt oder zu überqualifiziert. Aufgeben? Das ist nie eine Option für mich gewesen.“

 Wie aber schafft man den „Absprung“ – ist Auswandern nicht doch leichter gesagt als getan?

„Zwar machte das Arbeitsamt mir sehr große Schwierigkeiten, legte mir sehr viele Steine in den Weg, aber sie mussten am Ende doch für drei Monate einen Business-Spanischkurs bezahlen, die Kosten für meinen Umzug in Höhe von 4.200 Euro übernehmen und auch ein Überbrückungsgeld in Höhe von 1.000 Euro bezahlen. Am 21.10.2009 war es dann so weit und mein Flug ging nach Mallorca.“

Ihren ersten Job hatte Heti im Callcenter. „Lotto“ verkaufen war zwar kein Traumjob, aber dafür lebte sie auf der Insel – und zwar genau da, wo sie immer leben wollte, an der Playa de Palma

„Ich habe mir ganz bewusst die Playa ausgesucht, ich wollte in dieses Partyleben und wollte unbedingt am Meer leben und ich bin hier sehr glücklich und fühle mich sehr wohl. 2012 bekam ich das Angebot, für 1&1 zu arbeiten und ich war in der ersten Schulungsgruppe dabei. Im November wurde ich sogar in den Betriebsrat gewählt.“

Und heute – immer noch Callcenter?

„Insgesamt bin ich jetzt sieben Jahre bei der Firma, die mir diese Chance gab. Aktuell habe ich mich aber ein Jahr freistellen lassen und arbeite in einem anderen Callcenter auf Mallorca. Ich wollte einfach mal was Neues ausprobieren, mal neue Aufgaben testen und es gefällt mir supergut. Natürlich muss man hier genauso arbeiten wie in Deutschland. Hier sind genauso Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit und gute Arbeit gefordert. Auch mit dem Gehalt kann man ganz gut leben, man kann auch mehr verdienen, wenn man Überstunden macht. Nur kann man nicht erwarten, dass man hier (wie in Deutschland auch) sich besonderen Luxus erlauben kann. Ohne Weiteres aber kann man seine Kosten wie Miete usw. mit einem Callcenter-Gehalt bestreiten.“

Ausgleich – was machst du nach so einer Tätigkeit, bei der man nur sitzt?

„Ich fand ganz schnell raus, dass ich zum Job einen Ausgleich brauchte. Sportstudio bekam ich, wegen meiner Schichten, nicht so gut hin. Also fing ich erst mal an zu tauchen, habe meinen ersten Tauchschein gemacht und das Tiefste, was ich bisher getaucht habe, war bis auf 20 Meter runter.
Dann ging ich regelmäßig in den Bierkönig. Immer dann, wenn ich am nächsten Tag nicht arbeiten musste. Ich tanze so unheimlich gerne, fand die Musik einfach klasse und merkte sehr schnell, dass ich beim Tanzen Stress und Frust abbauen konnte. Außerdem hatte ich mit jungen so wie älteren Leuten einfach einen riesigen Spaß und konnte und kann immer noch mit denen sehr gut feiern.“

Weißt du, dass du im Bierkönig liebevoll „Disco-Oma“ genannt wirst?

„Die kleine Tanzfläche zog mich schon immer magisch an und oft war ich stundenlang dort oben drauf, kam oftmals klitschnass geschwitzt da runter, aber es hat einfach Spaß gemacht. Man lernt unheimlich viele Leute kennen, ob jung oder alt, völlig egal. Viele sprechen mich an, wenn sie das nächste Mal wieder hier sind und sagen: ‚Wir haben doch dann und dann zusammen gefeiert!‘“

Und wie siehst du die Veränderungen am Ballermann?

„Es hat sich in diesen fast 10 Jahren einiges verändert. Manches zum Besseren und manches ist schlechter geworden. Als ich den Bierkönig kennenlernte, war alles offen und die Leute konnten sich viel freier bewegen. Durch das Einsetzen der Zwischenwände im Bierkönig ist es ganz schnell viel zu voll und daher mussten die Einlasskontrollen eingeführt werden, was viel zu oft zu langen Warteschleifen führt. Das Glasflaschenverbot haben sich die Touristen selbst zuzuschreiben und ich finde es gut, es wurde einfach übertrieben. Viele Touristen haben sich einfach total daneben benommen und teilweise konnte man am Ballermann 6 nicht mehr laufen, man hätte sich die Füße aufgeschnitten.“

Und sonst so – was ist dein Mallorca-Fazit?

„Ich liebe es, hier zu leben, mir gefällt es unheimlich hier. Das Einzige, was mir hier fehlt: meine Kinder und meine 5 Enkeltöchter. Ich sehe sie zu selten und sehe sie nicht aufwachsen. Bei dem, was ich alles erreicht habe, was ich erlebt habe, würde ich immer wieder auswandern. Ich habe alles richtig gemacht. Ich habe einen Job, der mir richtig Spaß macht, arbeite mit 65 Jahren immer noch sehr lange und hart, ans Aufhören denke ich noch nicht. Vielleicht im nächsten Jahr mal etwas kürzertreten.“