Gastronomen demonstrieren mit Party (für) ihr Verantwortungsbewusstsein

30 Jan, 2021
Ein Artikel von: Kenny Deppe

Archivbild der Demonstration vom 22. Januar

Die heutige Demo gegen die Schließung der Gastronomie war ein voller Erfolg – für die Balearenregierung.

Wie fängt man an etwas zu sagen, wenn das Thema einen sprachlos macht? Wenn man Verständnis für die Sache hat, aber nicht glauben will, was man da gesehen hat? Nun ja… ich werde es mal versuchen…

Auf Mallorca fand heute die dritte Demonstration gegen die Corona-bedingte Schließung der Gastronomie statt. Die erste Demo am 12. Januar wurde von der Balearenregierung nicht genehmigt. Trotzdem versammelten sich tausende Menschen in Palma, um ihren Unmut über die verschärften Lockdown-Maßnahmen kundzutun. Am 22. Januar war die zweite Demonstration als Auto-Demo genehmigt. Trotz des heftigen Sturms kamen wieder hunderte Demonstranten, um auch zu Fuß zu demonstrieren.

Heute dann die dritte Demo. Wieder als Auto-Demo genehmigt, wieder wusste man, dass der Großteil der Teilnehmer ohne Auto kommen würde. Die Organisatoren „Resistencia Balear“ – also „balearischer Widerstand“ – stellten schließlich öffentlich die Frage, wer am 30. Januar um 11 Uhr spazieren geht.

Ganz ehrlich? In mir schwingt schon eine Portion Verständnis dafür mit. Demonstrationen sind unser Mittel einer Regierung mitzuteilen, dass wir mit ihrem Handeln nicht einverstanden sind. Auch in Corona-Zeiten sind Demonstrationen wichtig und richtig. Und die Erlaubnis seine Meinung mitteilen zu dürfen, darf meines Erachtens nicht davon abhängig gemacht werden, ob jemand ein Auto hat, oder nicht. Und auch wenn dieser Fußgänger-Teil der Demo bereits zum dritten Mal nicht genehmigt wurde, hat man ihn auch heute wieder geduldet.
Die zahlreich anwesenden Polizisten machten keine Anstalten die untersagte Versammlung aufzulösen. Und das obwohl erneut keine Abstände eingehalten wurden und vereinzelte Teilnehmer nicht in der Lage waren, ihre Maske vernünftig zu tragen. Das ist mehr als man hätte erwarten dürfen.

Die Balearenregierung hat also zum dritten Mal in zweieinhalb Wochen eine „verbotene“ Demonstration “über sich ergehen lassen”. Das muss man in einer Demokratie auch mal abkönnen. Daumen hoch dafür, dass hier mit Augenmaß gehandelt wurde.

Irgendwie haben die Veranstalter der Demo diese dritte „Duldung“ allerdings gründlich missverstanden. Die „Untätigkeit“ der Behörden bei den vergangenen Demos wurde offenbar völlig fehlinterpretiert. Anstatt die inoffizielle Genehmigung durch Nichteingreifen der Polizei als Chance anzunehmen und zu zeigen, dass man verantwortungsbewusst mit der Situation umgehen kann, schienen einige heute ihre vermeintliche Überlegenheit gegen die machtlose Regierung feiern zu wollen.
So zumindest machte es den Eindruck, als am Ende der Demonstration laute Musik von einem LKW-Anhänger schallte und die Demonstranten anfingen zu jubeln und zu tanzen. Zu sehen in diesem Video, ab etwa 1 Stunde und 1 Minute.

Nun ist es wichtig zu verstehen, wer da eigentlich demonstriert und für oder gegen was genau demonstriert wird. Demonstriert wird, wie eingangs erwähnt, gegen die Schließung der Gastronomie zur Eindämmung des Coronavirus. Die Unternehmerverbände distanzierten sich zwar öffentlich von den Demos – betonten allerdings im gleichen Atemzug, dass sie nicht ausschließen wollen, als individuelle Unternehmer ebenfalls an den Demos teilzunehmen. Schließlich habe jeder das Recht, für sein Unternehmen zu kämpfen.

Am Truck von dem die Musik dröhnt, hängt ein Transparent mit der Aufschrift „Ocio nocturno abandonado“. „Ocio nocturno“ bedeutet wörtlich übersetzt „nächtliche Unterhaltung“ und umfasst Diskotheken, Clubs, Bars und alles was zum Nachtleben dazugehört. Das Nachtleben wurde mit Beginn des Alarmzustands im März komplett abgewürgt. Dafür steht „abandonado“, also „im Stich gelassen“.
Der Verband der Nachtclubbetreiber versucht seit über einem halben Jahr der Regierung verständlich zu machen, dass sie verantwortungsbewusst sind und funktionierende Konzepte haben, wie sie ihre Lokale – ohne Tanzfläche – auch in Pandemie-Zeiten öffnen können. Vergebens.

Jetzt habe ich schon viel geschrieben und bin noch immer sprachlos… Wie drücke ich das jetzt halbwegs freundlich aus? Da findet eine Demo statt, weil man den Shutdown in der Gastronomie für unverhältnismäßig hält. Weil man sich immer an alle Regeln gehalten hat. Weil man in seinem Lokal kontrollieren kann, dass Menschen Abstände einhalten. Weil man sich selber für Verantwortungsbewusst genug hält, genau das zu managen, was aktuell problematisch ist: Das Zusammenkommen von Menschen. Und was passiert? Man demonstriert – und zwar demonstriert man sein fehlendes Verantwortungsbewusstsein. Statt zu zeigen, dass man Regeln umsetzen kann, ignoriert man selbst die einfachsten Corona-Regeln und veranstaltet eine Mini-Loveparade unter den Augen der bisher so besonnen handelnden Polizei. Statt sich zu freuen, dass man trotz Verbots demonstrieren darf, treibt man es auf die Spitze. Tanzen, jubeln, feiern. Kein Wunder also, dass die Polizei heute tatsächlich die Musik abschalten ließ und die Demonstranten nach Hause schickte.

Diese Demo könnte ein Schuss ins eigene Knie gewesen sein. Wer nicht mal mit der stillschweigenden Duldung einer verbotenen Demo verantwortungsbewusst umgehen kann, dürfte nur wenige Argumente für eine schnelle Wiedereröffnung seines Lokals haben. Wir alle können uns die Gesichter der Regierungsvertreter vorstellen, wenn das nächste mal ein Gastronom zu ihnen sagt: „Wir können die bestehenden Regeln umsetzen. Wir können für Sicherheit garantieren.“

Zum Abschluss noch eine weitere Portion Unverständnis: Auf Mallorca sind die Intensivstationen am Limit. Freie Betten gibt es noch, aber das Personal ist knapp. Trotzdem nimmt man noch Patienten von Ibiza auf. Die Krankenhäuser sprachen sich vor Wochen für noch härtere Einschränkungen aus, um ihnen eine Atempause zu verschaffen. Nun geht zumindest auf Mallorca die Zahl der Neuansteckungen etwas zurück, was dann in zwei, drei Wochen auch Entspannung in den Kliniken bedeuten könnte. Was für ein Schlag ins Gesicht müssen die heutigen Bilder für Ärzte und Pfleger sein?