Ein Platz, der alles sein kann – zwischen Schrecken und zweitem Zuhause
Der Hamburger Hauptbahnhof, einst ein Bau des Kaisers, dient heute als zentraler Knotenpunkt des Nordens. Hier durchströmen täglich 550.000 Menschen eine Welt aus Glanz und Schatten. Helmut Schmidt erwarb an diesem Ort einst Rosen für seine Loki. Für andere ist die Durchquerung der Halle lediglich eine Notwendigkeit. Bisweilen wird der Bahnhof zum Heim.
Der ursprüngliche Entwurf des Bahnhofs stieß beim Kaiser auf Ablehnung, er nannte ihn „abscheulich“. Als höchster Baumeister des Reiches drängte er auf eine prächtige Fassade im Stil der Neorenaissance. Dahinter erstand eine gewaltige Hauptshalle, eine technische Meisterleistung aus Glas und Stahl, 150 Meter lang, 114 Meter breit und 37 Meter hoch. Ein Monument, das Macht demonstriert. Zur Eröffnung am 6. Dezember 1906 kamen Tausende, um das Spektakel zu bestaunen.
Heute ist der Hamburger Hauptbahnhof unter Denkmalschutz gestellt und je nach Blickwinkel von verschiedener Bedeutung. Für manche ist er ein verschlingender Moloch, für andere ein Ort der Begegnungen und des Wiedersehens. Für wieder andere ist er nur eine tägliche Durchgangsstation: einsteigen, aussteigen, umsteigen – und schnell weg.
Der Bahnhof ist für Peter O‘Hanlon zur Heimat geworden. Der Mann mittleren Alters in einem gelben Pullover zieht fast täglich seinen schwarzen Rollkoffer hinter sich her, als wäre er auf dem Sprung, in einen Fernzug zu steigen. Doch er bleibt, denn der Bahnhof ist sein Ziel. „Hier fühle ich mich zu Hause“, sagt er. Er durchstreift Korridore, trinkt Kaffee bei der Bahnhofsmission und sucht das Gespräch mit Bekannten, die ebenfalls viel Zeit am Bahnhof verbringen.
O‘Hanlon, gebürtiger Ire und längst in Deutschland heimisch, lebt allein und berichtet von seinem Lebensunterhalt durch das Bürgergeld. Sein Büro, in dem er auch schläft, liegt irgendwo außerhalb. Doch tagsüber sucht er das Leben und den Austausch mit Menschen am Bahnhof.
Der Hamburger Hauptbahnhof ist der verkehrsreichste Deutschlands und der zweitgrößte Europas nach dem Gare du Nord in Paris. Täglich bewältigt er ein Aufkommen von 800 Fern- und Regionalzügen sowie 1200 U- und S-Bahnen. Im Untergrund, tief im Bauch des Bahnhofs, verlaufen weitere Gleise. Das Gedränge ist allgegenwärtig, fast erdrückend.
Am Ostausgang steht eine kleine Gestalt in einer roten Kapuze, gebückt, den Blick gesenkt. Umhüllt von einer alten Bettdecke, hält sie einen Pappbecher in die Menge. Manchmal taumelt sie, klammert sich an einem Mülleimer fest. Vorbeigehende Polizisten nehmen keine Notiz von ihr.
800 Tauben, acht Tonnen Schmutz
Rund 800 Tauben nisten im und um den Bahnhof. Sie flattern über die Bahnsteige, sitzen auf den Tischen von Cafés und picken Essensreste auf. Ihre Hinterlassenschaften, jährlich acht Tonnen, schädigen Böden und Wände und müssen ständig beseitigt werden. Das Füttern der Tauben ist strengstens untersagt, ebenso wie eine Reihe anderer Aktivitäten.
Über 200 Überwachungskameras überwachen den Bahnhof, ein Brennpunkt in der politischen Debatte um Sicherheit. Allein im Jahr 2023 wurden hier 4153 Straftaten registriert. Diese hohe Zahl beunruhigt und spiegelt die gesellschaftliche Unzufriedenheit mit den Zuständen am Bahnhof wider.
Die öffentliche Wahrnehmung des Bahnhofs als Ort der Kriminalität hat sich durch die Bemühungen der „Allianz sicherer Hauptbahnhof“ verbessert. Eine koordinierte Sicherheitsstrategie zwischen Polizei und privaten Sicherheitsdiensten hat erste Erfolge gezeigt.
Am Freitag, dem 23. Mai 2025, sticht eine Frau am Bahnsteig wahllos auf Menschen ein. Die psychisch kranke Täterin wurde gerade erst aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen. Die Frage nach ihrer Freilassung wird im anstehenden Verfahren eine zentrale Rolle spielen.
Der Hamburger Hauptbahnhof bleibt ein Ort der Gegensätze, der sich stetig weiterentwickelt. Trotz seiner Überlastung als „Nadelöhr des Nordens“ sind umfangreiche Erweiterungen geplant, um die Kapazität und den Komfort zu verbessern.
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Larissa Vogler ist Kulturjournalistin mit einer Leidenschaft für Filme, Serien und Shows. Sie liebt es, unentdeckte Perlen aufzuspüren und ihre Leser mit neuen Ideen zu begeistern.